10 Thesen für einen „wehrhaften Journalismus“

10 Thesen, warum RechtextremistInnen und RechtspopulistInnen hohe mediale Reichweiten erzielen, und eine Gegenstrategie.

 

Am 11.01. 2024 fand im Leipziger MedienCampus ein Workshop zum Thema

 

JournalistInnen unter Druck: Wie gesellschaftliche Verantwortung im Berufsalltag noch wahrgenommen werden kann.“

 

statt. JournalistInnen, darunter der ARD, der Wochenzeitung DIE ZEIT und dem Bayerischen Rundfunk sowie gesellschaftliche Akteure diskutierten über die oben genannte Frage. 

Die Fragestellung

Im Fokus standen RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen, ihr Verhalten und ihr sichtbarer Erfolg in der medialen Wahrnehmung und Reichweite. Dabei hatten die Teilnehmenden insbesondere den Strategiewechsel der AfD im Fokus, die seit November 2023 das Bürgergeld gegenüber UkrainerInnen in Deutschland thematisiert. Die Partei vertritt den Standpunkt, dass die finanzielle Unterstützung der UkrainerInnen eingeschränkt werden müsse. Dem Perspektivwechsel der AfD nähert sich aktuell auch die CDU an.Im 

Die Ergebnisse

1. „Only bad news are good news“? Die Verunsicherung der Bevölkerung ist von RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen gewünscht.

In Bezug auf die journalistische Praxis bemerkte Frau Kerstin Palzer vom ARD-Hauptstadtstudio zu Beginn der Veranstaltung an, dass es immer noch schwer sei, sich im Medienbetrieb von der Botschaft „Only bad news are good news“ zu distanzieren. Dr. Nils Franke vom Erich Zeigner Haus e. V. wies darauf hin, dass die Strategie der Neuen Rechten auf die Verunsicherung der Gesellschaft ziele. Je unsicherer eine Gesellschaft werde, desto mehr wünsche sie eine „starke Hand“. Die Vielzahl der „bad news“ in den Medien sei dafür ein Motor. 

Einig war sich das Gremium, dass mediale Meldungen immer schneller produziert werden müssten. Sie sollten außerdem betroffen machen, emotionalisieren und provozieren. Auch diese Entwicklung im Berufsalltag der JournalistInnen kommt den RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen entgegen. Denn sie führt zur weiteren Verunsicherung der Gesellschaft. Emotionalisierung und Provokation stellen Probleme in den Mittelpunkt, sie sind nicht lösungsorientiert.

2. Die Umgehung des „Gate-Keepers“ und Sozialen Medien als fünfte Gewalt

Anastasia Tikhomirova von ZEIT-Online nannte die Sozialen Medien die 5. Gewalt. Diese Anspielung auf die Bezeichnung der „Alten Medien“ als 4. Gewalt zielte auf ein weiteres Thema, das die JournalistInnen im Berufsalltag unter Druck setzt. Es ist bekannt, dass die Neue Rechte und die AfD als politische Akteure die Sozialen Medien sehr wirksam einsetzen und dort unter den Parteien die größten Reichweiten erzielen. Sie umgehen die professionellen JournalistInnen als Gate-Keeper, entziehen den klassischen Medien RezipientInnen, erschaffen eigene Inhalte, und sorgen systematisch für deren Verbreitung in der Gesellschaft. Das geschieht so erfolgreich, dass die Neue Rechte und die AfD kaum mehr auf die Diffusion ihrer Standpunkte über die „Alten Medien“ angewiesen sind. Die „4. Gewalt“ verliert an Stärke, die so genannte 5. Gewalt gewinnt dagegen an Einfluss und setzt zudem die klassischen Medien weiter unter Druck. 

3. Die Medienkompetenz der Bevölkerung muss gestärkt werden. 

Die Anwesenden waren sich einig, dass der Öffentlichkeit viel zu wenig bewusst ist, wie z. B. Nachrichten, Kommentare, Zwischenrufe usw. entstehen und was sie unterscheidet. Die Medienkompetenz der Bevölkerung ist leider immer noch gering, was RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen in die Karten spielt. 

4. Das journalistische Handwerk muss seine gesellschaftspolitische Bedeutung besser darstellen.

Zudem wird von JournalistInnen das eigene journalistische Handwerk viel zu wenig thematisiert und der eigene Wert z. B. der Öffentlich-Rechtlichen zu wenig hervorgehoben. Auch das ist RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen förderlich.

5. Die Schwarz-Weiß-Sicht der RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen ermöglicht eine schnelle Positionierung und blockiert Lösungen.

Hinzu kommt, dass der Medienbetrieb bei konfliktreichen Fragen wie z. B. bei der Diskussion um russlandfreundliche KünstlerInnen wie Anna Jurjewna Netrebko nur langsam reagiert. Viele JournalistInnen warten oft ein allgemeines Meinungsbild ab, bevor sie sich selbst positionieren. Dieses aus verschiedenen Gründen nachvollziehbare Vorgehen sehen RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen als nicht nötig an. Sie haben kein Problem, jeden Diskurs aus ihren ideologischen Positionen zu diskutieren und ihre einfachen, oft schwarz-weißen Ansichten einzubringen. 

6. RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen haben kein Problem mit der Parteilichkeit.

Während im Sinne des Transparenzgebotes die meisten JournalistInnen auf ein Parteibuch verzichten und versuchen, Objektivität zu wahren, ist das bei medialen Akteuren der RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen nicht nötig. Im Gegenteil, ihre eindeutig parteiliche Perspektive vertreten sie oft offensiv und handeln damit jenseits medienethischer Grundsätze.

7. Einschüchterungen von JournalistInnen zur Verhinderung von Recherche muss verhindert werden.

Die konkrete Bedrohung oder Einschüchterung von JournalistInnen bei der Recherche ist ein weiteres Problem, das auf dem Workshop angesprochen wurde. Denn direkte Attacken oder entsprechende Ankündigungen führen oft zu Einschränkungen, wenn nicht zum Abbruch der journalistischen Arbeit auf der Straße und zum Rückzug von dieser Form der Recherche. RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen müssen also nur bedrohliche Situationen provozieren oder produzieren, damit weniger oder gar nicht mehr über sie berichtet wird. Damit können sie sich wiederum als Opfer der Berichterstattung stilisieren, die klassischen Medien diffamieren, sich in ihre Filterblasen zurückziehen und das Gefühl in der Gesellschaft verstärken, Politik und Medien würden sie nicht repräsentieren. 

8. Hass in den Sozialen Medien gilt es abzustrafen.

Zu den Mitteln der Einschüchterung gehört außerdem Hass gegen JournalistInnen in den Sozialen Medien. Diese Hassbotschaften haben inzwischen so große Ausmaße und Intensität erreicht, dass sie in Bezug auf die Einschüchterungsversuche gegenüber JournalistInnen eine eigenständige Erwähnung in diesem Papier erhalten müssen. 

9. Wir brauchen einen „Wehrhaften Journalismus“. 

Julia Schölzel vom Bayerischen Rundfunk forderte in diesem Zusammenhang einen „wehrhaften Journalismus“ ein und verdeutlichte das anhand des Formats der Talkshows. Statt zu versuchen, durch möglichst harte Auseinandersetzungen völlig entgegengesetzter Perspektiven auf ein Thema Streit und damit „Quote“ zu erzeugen, könnte das Format durch eine starke Moderation versuchen zu zeigen, dass Diskussionen Teile der demokratischen Willensbildung sind, die aber den Regeln des Anstandes folgen. Das mag vielleicht etwas weniger Quote, aber dafür einen Beitrag zum Verständnis des demokratischen Miteinanders leisten. Und einen kleinen Schritt zu der von Kerstin Palzer zu Beginn der Veranstaltung eingeforderten größeren Distanz zum Grundsatz „Only bad news are good news“ ermöglichen. 

10. Medienethische Fragen sind nicht allen JournalistInnen präsent. 

Auf der Veranstaltung unterstrich Julia Mayer von der Universität Leipzig, dass medienethische Fragen standardmäßig zur journalistischen Ausbildung gehören. Allerdings wurde eingeschränkt, dass es sich nicht um einen geschützten Beruf handelt. Nicht alle JournalistInnen haben eine entsprechende Ausbildung. 

Die Gegenstrategie

Der Erfolg von RechtsextremistInnen und RechtspopulistInnen in ihrer medialen Reichweite beruht auch auf Kennzeichen des Medienbetriebs, die sie sich zu Nutze machen. Ihre Reflektion und Korrektur im Sinne eines „Wehrhaften Journalismus“ tut not.