Angesichts der Europawahlen positionierten sich viele Parteien zu Russlands Angriffskrieg und Deutschlands Unterstützung der Ukraine. In diesem Zuge veröffentlicht die rechtsradikale Partei Die Heimat ihre Ideen zu einer „nationalistischen Friedenspolitik“. In Sorge um den „Niedergang europäischer Völker“ schreibt sie den „Ethno-Nationalisten Europas“ die Aufgabe zu, diesen zu verhindern und Friedensforschung zu betreiben.
Nationalismus bezieht sich im aktuellen politischen Diskurs weitestgehend auf eine vermeintliche Überlegenheit einer Nation gegenüber einer oder allen anderen. Die Vorstellung einer Nation basiert im Ethnonationalismus auf vermeintlich vorgegebenen, unwandelbaren kulturellen Elementen, die mit Abgrenzung und Diskriminierung von Elementen anderer Ethnien einhergeht, und damit der Idee eines gleichberechtigten Miteinanders in einem Staat widerspricht.
Ethnonationalismus als Friedenskonzept?
So eine Form des Ethnonationalismus spielt z. B. auch in Bosnien und Herzegowina eine bedeutende Rolle. Dort sorgt das Konzept für Spannungen und Konflikte, die vor allem Frauen und Minderheiten gefährden. Bosniens Bevölkerung lag 2022 bei 3,2 Millionen. Die 51,9% Frauen erleben in Bosnien und Herzegowina einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt und weitgehenden Ausschluss aus gesellschaftlichen Prozessen. Mit nur 12% sind sie in der Politik deutlich unterrepräsentiert. Die ca. 58.000 in dem Land lebenden Sinti*zze und Rom*nja sind als intersektional diskriminierte durch Zugangsbeschränkungen in allen wichtigen Lebensbereichen besonders betroffen. Sie werden, neben Juden und Jüdinnen, auch in institutionellen Regelungen, wie dem passiven Wahlrecht benachteiligt (Dayton Abkommen 1995).
Der Ethnonationalismus geht in Bosnien und Herzegowina Hand in Hand mit patriarchalen Strukturen und geschlechterspezifischen Rollenzuschreibungen. Jede zweite Frau hat in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erlebt. 80% der Opfer von Straftaten sind Frauen und 90% der Täter männlich. Die Gewalt gegen Frauen ist gesellschaftlich toleriert und patriarchale Misogynie tief verwurzelt in der Bevölkerung. Dabei war Bosnien 2013 unter den ersten Ländern, die die Istanbul Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, und häuslicher Gewalt ratifiziert haben. Es gibt ein Antidiskriminierungsgesetz und sowohl häusliche Gewalt als auch Vergewaltigung in der Ehe sind seit 2003 als Straftaten deklariert.
Die Umsetzung von offiziellen Gesetzen und das Schaffen eines Bewusstseins für Geschlechtergerechtigkeit ist ein gesellschaftliches Thema und damit abhängig von der Bereitschaft der Bevölkerung. Das Geschlechterverhältnis steht im direkten Zusammenhang mit ethnonationalistischen Vorstellungen von Geschlechterrollen. Der Mann wird portraitiert als aktiver Verteidiger (des Staates, aber vor allem der Ethnien) und die Frau als passiver, reproduktiver Part der Nation.
Ethnonationalismus ist eine Gefahr für alle Menschen
Der Appell an die Männer des Landes, ihre Nation als imaginierte ethnische Einheit zu beschützen ist im Rechtspopulismus und nationalistischen Gruppierungen und Parteien, wie der Heimat, üblich. Formen von Minderheiten- und Mehrheitsnationalismus, wie sie sich z. B. in Bosnien und Herzegowina durch Diskriminierung intersektional betroffener Gruppen zeigen, sind auch dem aufstrebenden deutschen Nationalismus nicht fremd. Die Fokussierung auf die patriarchale Macht eines Staates o. einer Gesellschaft im Ethnonationalismus bietet den Nährboden sowohl für geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt als auch für die Ausgrenzung und Abwertung von Minderheiten. Wenn diese Ausgrenzung als Ideologie internalisiert wird, stellen nicht nur intersektionale Diskriminierung und Gewalt eine reale Gefahr für marginalisierte Personen dar, sondern auch der überzogene Nationalismus – für alle Menschen.
S. J.
Link 1: https://die-heimat.de/nationalistische-friedenspolitik/
Link 2: https://sarajewo.diplo.de/ba-de/botschaft/-/2570188