Sexismus gegenüber osteuropäischen Menschen – ein Grundlagentext

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die dadurch ausgelöste Migrationswelle dynamisierten die deutschsprachige Debatte zur Diskriminierung von Menschen aus dem östlichen Europa – einem bis zuletzt wenig beachteten Themenkomplex.

Antislawischer Sexismus bezeichnet die Mehrfachdiskriminierung vermeintlich slawischer Menschen, zum einen anhand der Herkunft, zum anderen aufgrund des sozialen Geschlechts. Dieser Artikel stellt die Repräsentation in Forschung und Medien vor und beleuchtet Beispiele.

Das übergeordnete Phänomen des Antislawismus (Abwertung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft aus einem als „Osteuropa“ imaginierten Kulturraum) konnte sich bis dato nicht im gesellschaftlichen bzw. wissenschaftlichen Diskurs etablieren und verbleibt trotz des Aufmerksamkeits-Auflebens nach Kriegsbeginn im Vergleich zu anderen Diskriminierungsthemen unterrepräsentiert. So ist auch die spezifisch intersektionale Analyse des antislawischen Sexismus fast non-existent. Mit Ausnahme einer am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena (IDZ) veröffentlichten Kurzanalyse, welche u.a. die Intersektion von Antislawismus und Sexismus in der Popkultur behandelt, gibt es bisher keine fundierte Forschung bzw. Literatur zu Themen des antislawischen Sexismus.

Allerdings sensibilisieren einige Akteur*innen aus der Post-Ost Community (z.B. Anastasia Tikhomirova, Lisa Jarzynski, Masha Borysenko) journalistisch zur o.g. Diskriminierungsform. Auch gibt es staatlich geförderte Thinktanks (Zentrum Liberale Moderne mit der Projektseite o[s]tklick) und andere Initiativen, die spezifische Bildungsarbeit leisten. Die meisten Beiträge beruhen auf Quellen wie Google-Suchanfragen, Meinungen, Analysen der (Re-)Produktion von Stereotypen in Populärkultur, sowie Erfahrungsberichten.

Ein Kernthema ist die Sexualisierung und Objektifizierung vermeintlich osteuropäischer Frauen. Beispielsweise im Bild der „attraktiven Osteuropäerin“ – eine Form des benevolenten Sexismus. Diese Denkmuster finden sich als stereotype Beschreibungen von vermeintlich osteuropäischen Frauen auf Internetseiten von Escort-Agenturen. Zudem zeigen sie sich in steigenden Suchanfragen zu Sexdienstleistungen ukrainischer und russischer Frauen, wie sie nach dem Beginn der russischen Invasion zu beobachten waren. Die durch diese exotisierenden Sexualfantasien bedingte Nachfrage fördert wiederrum das Risiko von aus der Ukraine Geflüchteten, Opfer von Menschenhandel zu werden. Dies wurde vom OECD erkannt und thematisiert. Auch das gezielte Casten der wohnungssuchenden Geflüchteten, sowie das Entgegenbringen von Hilfsbereitschaft mit dem Ziel sexueller Gegenleistungen sind Effekte dieser Sexualisierung. Doch bereits vor dem Krieg dienten osteuropäische Frauen als Projektionsfläche für erotisierende, gleichzeitig jedoch herabwürdigende Vorstellungen deutscher Männer. Dies zeigt sich in der Populärkultur, wo insbesondere im Musikgenre Gangster-Rap und in verschiedenen Formen der Unterhaltungsmedien (s. Kurzanalyse IDZ Jena, S. 4-5) dezidiert antiosteuropäische und sexistische Bilder reproduziert werden.

Die eben erwähnte Gegensätzlichkeit in den Projektionen lässt sich durch das von Siegmund Freud geprägte psychoanalytische Konzept des „Madonna-Hure-Komplex“ erklären. Es bezeichnet eine Zweiteilung im männlichen Begehren – eine gleichzeitige Aufwertung und Abwertung von Frauen. Diese Dichotomie liegt dem antislawischen Sexismus oft zugrunde, denn die dominanten Stereotypisierungen osteuropäischer Frauen sind gegensätzlich konnotiert: Auf der einen Seite stehen Zuschreibungen wie Attraktivität, Loyalität und Fürsorglichkeit (Diese Frauen werden als traditionell weiblich und dem konservativen Familienbild zugetan verklärt und sind so Gegenentwurf der emanzipierten westlichen Frau). Auf der anderen Seite stehen Zuschreibungen wie Arroganz, Ungebildetheit und Käuflichkeit, welche den Betroffenen Intellekt, Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit absprechen. Hierbei handelt es sich um ein konservativ-patriarchales Framing, welches männliche Vorstellungen von Vormacht fördert und festigt. Dass diese patriarchalen Perspektiven nicht nur Frauen schaden, lässt sich anhand der Darstellung von Deserteuren demonstrieren. Nicht nur in der eigenen Kulturgemeinschaft, sondern auch darüber hinaus, erfahren ukrainische und russische Männer, die sich weigern, die militärischen Interessen ihres „Vaterlandes“ zu vertreten, eine soziale Stigmatisierung und werden als unpatriotisch, schwach, emotional und verräterisch – kurz als Gegenteil klassischer Männlichkeit, bezeichnet.

Die gegenwärtige Wahrnehmung des antislawischen Sexismus kann durch die russische Beleidigung „cука блядь“ (suka bljad‘) symbolisiert werden: Als Internetphänomen wurde diese zu einer weit verbreiteten Floskel und wird meist ohne Reflexion ihrer frauenfeindlichen Kernbedeutung reproduziert – eine direkte Form der sexistischen Beleidigung von russischsprachigen Frauen. Weniger plakativ aber ebenso unfreundlich funktionieren die verbreiteten Stereotype über Menschen aus Osteuropa. Diese sind, wie oben gezeigt, von geschlechterspezifischer Abwertung durchzogen und werden gleichermaßen unreflektiert verwendet. Jene Lücke im gesellschaftlichen Verständnis gilt es durch vermehrte Bildungsarbeit und Sensibilisierung für das Thema zu schließen.

T. M.